Allgemein

Verteidigungsminister Lieberman in palästinensischer Zeitung

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 24. Oktober 2016

Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman hat erstmals der palästinensischen Zeitung El Kuds ein Interview gewährt. Das ist die meistverbreitete palästinensische Zeitung, erscheint aber in dem von Israel annektierten Jerusalem. Deshalb weigerte sich die Zeitung, das Interview auf Druck der Autonomiebehörde in Ramallah nicht zu veröffentlichen. Widerspruch von palästinensischer Seite gab es auch gegen den Reporter. Das Gespräch mit Lieberman erwecke den Eindruck, als gäbe es eine „Normalisierung“ in den Beziehungen mit Israel. Doch der Reporter verteidigte sich, professionellen Journalismus betrieben zu haben nach 30 Berufsjahren und Lieberman 15 „harte Fragen“ gestellt zu haben.

Bei dem auf einer Doppelseite veröffentlichten Gespräch waren Gaza, das Westjordanland und die politische Zukunft der Region die Hauptthemen.

Lieberman wolle dem Gazastreifen mit dem Bau eines Hafens und Flugplatzes, dem Wiederaufbau und bei Wasser-Entsalzungsprojekten helfen, jedoch unter der Bedingung, dass ein dreijähriger Waffenstillstand halte und dass die Hamas-Organisation nicht „hundert Millionen Schekel“ in Aufrüstung investiere, anstatt in Gesundheit und Erziehung. Er prophezeite gar, dass der Gazastreifen ein Hong Kong oder Singapore des Nahen Ostens werden könne, sowie Ruhe herrsche und die Hamas Israel nicht mehr mit Angriffstunneln und Raketen bedrohe. Dieses wurde von der linksgerichteten israelischen Meretz-Parteichefin Sahava Galon, arabischen Knesset Mitgliedern und der Hamas scharf zurückgewiesen. Es sei das gute Recht der Hamas aufzurüsten, solange die „Besatzung“ andauere (obgleich sich Israel 2005 komplett aus Gaza zurückgezogen hat). Galon meinte, dass Lieberman sich „wie ein Besatzer aufspielt“, wenn er den Bürgern von Gaza „Selbstverständlichkeiten“ wie einen Hafen oder Flugplatz verspreche.

Israel wolle keinen Krieg gegen den Gazastreifen. Sollte die Hamas aber Israel zu zwingen, werde das „der letzte Krieg der Hamas sein, denn dann wir die Organisation völlig zerstören“, sagte der Verteidigungsminister.

Lieberman äußerte sich zuversichtlich über eine „Zweistaatenlösung“, aber „es geht nicht an, dass der palästinensische Staat judenfrei ist, während Israel ein binationaler Staat mit 20% arabischem Bevölkerungsanteil sein müsse“. Er redete von einem „Bevölkerungsaustausch“, wobei „Israel auf Um el Fachem durchaus verzichten könnte“. Die Stadt Um el Fachem liegt an der Grenze zum Westjordanland. Diese Äußerung brachte dem „Emigranten aus der Moldau“, wie Palästinenser den Verteidigungsminister bezeichneten, die Kritik ein, eine „ethnische Säuberung arabischer Staatsbürger Israels“ zu planen. Wegen seiner Behauptung, dass Ariel, Maaleh Adumim und andere israelische Groß-Siedlungen in jedem Fall bei Israel bleiben würden, bezichtigen sie ihn gar als „Lügner“, solange „israelische Bulldozer im Westjordanland jede Chance für eine Zweistaatenlösung vernichten“.

Weil er Abbas bezichtigte, keine Kraft zu haben, ein Abkommen mit Israel zu unterzeichnen, hielten ihm palästinensische Kritiker vor, „ein Träumer zu sein, wenn er glaube, auf der palästinensischen Seite einen Politiker finden zu können, der ihm besser ins Konzept passe“.

Auf israelischer Seite gab es Kritik an Lieberman wegen seiner „gemäßigten Haltung“, dem Gazastreifen helfen zu wollen. Doch grundsätzlich wurde begrüßt, dass er sich überhaupt bereit erklärt hatte, einer palästinensischen Zeitung ein Interview zu gewähren. Die Hamas kündigte an, den Verkauf dieser Ausgabe der El-Kuds-Zeitung im Gazastreifen verhindern zu wollen.

(C) Ulrich W. Sahm

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