von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 30. März 2019
Zu dem von der Hamas-Organisation aufgerufenen „Rückkehrmarsch“ der Millionen sind nach israelischen Angaben bestenfalls 40.000 Palästinenser gekommen. Sie demonstrierten an fünf verschiedenen Punkten. Insgesamt waren es spürbar weniger Demonstranten als bei früheren Zusammenstößen am Grenzzaun. Die meisten hielten sich in Lagern in gebührender Entfernung vom Grenzzaun zu Israel auf, wobei Polizisten der Hamas beobachtet wurden, wie sie die Demonstranten davon abhielten, sich dem Grenzzaun zu nähern. Strömender Regen und der Schlamm dämpften zudem die Stimmung. Dennoch versuchten einzelne Demonstranten, den Grenzzaun zu überwinden. Israelische Soldaten setzten vor allem Tränengas ein, wodurch mindestens 35 Palästinenser verletzt wurden. Nur vereinzelt hätten sie scharfe Schüsse abgegeben. Nach israelischen Angaben seien die israelischen Soldaten bemüht gewesen, keine Tote zu verursachen, nachdem die Hamas gedroht hatte, auf jeden Toten sehr scharf zu reagieren und die von Ägypten ausgehandelten „Übereinkünfte“ zusammenbrechen zu lassen. Mittags wurde gemeldet, dass zwei kleine Kinder den Grenzzaun in Richtung Israel überwunden hätten. Soldaten entdeckten Messer in ihren Hosen. Bei einer kurzen Befragung erklärten die Kinder ihren Wunsch, in ein israelisches Gefängnis gebracht zu werden, um etwas zu Essen zu bekommen. Die Soldaten schickten sie zurück in den Gazastreifen, während der Militärsprecher mit einem Videofilm den Müttern im Gazastreifen empfahl, besser auf ihre Kinder aufzupassen. Die Grenzregion sei lebensgefährlich und kein Spielplatz für Kleinkinder.
Einer der ägyptischen Vermittler habe laut Medienberichten seine Kinder mitgebracht, „damit sie mal israelische Soldaten sehen könnten“.
Der Deutschlandfunkt berichtete, dass es in der Nacht zum Samstag einen „ersten Toten“ gegeben habe, obgleich seit Beginn der Auseinandersetzungen an Grenze vor genau einem Jahr schon 258 Tote und Tausende Verletzte vom palästinensischen Gesundheitsministerium gemeldet worden sind. Jener 21-Jährige sei je nach Quelle von dem Splitter einer israelischen Panzergranate oder durch einen israelischen Gewehrschuss getötet worden. Genauso gut hätte er jedoch auch von der explodierenden Munition getroffen worden sein, die infolge des israelischen Beschusses einer Stellung der Hamas explodiert war.
Das Auswärtige Amt hatte zuvor schon gewarnt: „«Das Risiko einer hochgefährlichen Zuspitzung an der Grenze zwischen Gaza und Israel ist offensichtlich.» Das Recht auf friedlichen Protest gelte auch im Gazastreifen, hieß es in der Mitteilung. Aber: «Dieses Recht darf nicht – wie wir dies immer wieder gesehen haben – zum Vorwand für Hetze genommen oder missbraucht werden, um Gewalt aus der Menge heraus zu üben oder Gewaltakte zu legitimieren.»
Von Anfang an waren die Demonstrationen von erheblicher Gewalt gekennzeichnet, die zur Zerstörung des Grenzzaunes und zu Bränden in Feldern und Wälder über eine Fläche von Dutzenden Quadratkilometern in Israel geführt haben. Das Außenamt in Berlin rief zu „Besonnenheit und das ernsthafte Bemühen, eine Eskalation zu verhindern“ auf. Weiter schrieben die deutschen Diplomaten, dass das „Recht auf friedlichen Protest“ auch in Gaza gelten müsse „wie anderswo“. Offenbar haben die Diplomaten nicht bemerkt, dass es sich hierbei um einen gewaltsamen Sturm auf die Grenze zum Nachbarland handelte, was immer wieder auch eine Verletzung der Souveränität bedeutete.
Derweil rief die extrem linksgerichtete israelische Organisation Gusch Schalom zu einer „Demonstration in Solidarität mit dem Volk von Gaza“ gegenüber dem Verteidigungsministerium (HaKirya) in Tel Aviv auf. Weiter hieß es in dem Aufruf: „Bereits seit einem Jahr schlagen die zwei Millionen Häftlinge des größten Gefängnisses der Welt – des Gazastreifens – gegen die Gitterstäbe ihrer Gefängniszelle – und werden von den scharfen Kugeln der Scharfschützen der israelischen Armee beantwortet. Sie fordern „Volle bürgerliche und politische Rechte für die Palästinenser, die unter israelischer Kontrolle und Besetzung leben.“ wobei sie nicht erwähnen, dass Israel 2005 den Gazastreifen komplett geräumt hat.
(C) Ulrich W. Sahm