von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 20. Mai 2020
Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas kündigte am späten Dienstagabend an, dass Ramallah nicht länger an Abkommen gebunden sein werde, die es mit Israel und den Vereinigten Staaten unterzeichnet hat. Abbas erklärte nach einer lautstarken Kabinettsitzung in seinem Hauptquartier: „Die Entscheidung erstreckt sich auch auf Sicherheitskooperation mit Israel.“
Bei der Regierungssitzung ging es um die palästinensische Reaktion auf die „Absicht“ Israels, seine Souveränität auf die Siedlungen im Westjordanland auszuweiten und das Jordantal zu annektieren.
„Die Palästinensische Befreiungsorganisation und der Staat Palästina sind ab heute von allen Vereinbarungen und Absprachen mit der amerikanischen und der israelischen Regierung sowie von allen auf diesen Vereinbarungen und Absprachen beruhenden Verpflichtungen einschließlich der Sicherheitsverpflichtungen entbunden“, zitierte die arabischsprachige Nachrichtenagentur Wafa Abbas während des Treffens in Ramallah.
Der „Staat Palästina“ ist zwar bisher nicht ausgerufen und existiert nur auf dem Papier. Die Sicherheitskooperation soll den palästinensischen Terror bekämpfen, dient aber auch dazu, das Leben des wenig populären Präsidenten Abbas zu behüten und ihn vor Umsturzversuchen, etwa durch die radikale Hamas-Organisation, zu schützen. Weiter hieß es in Ramallah: „Die israelische Besatzungsbehörde muss ab heute vor der internationalen Gemeinschaft als Besatzungsmacht über das Gebiet des besetzten Staates Palästina mit all ihren Folgen und Auswirkungen auf der Grundlage des Völkerrechts und des humanitären Völkerrechts alle Verantwortung und Verpflichtungen übernehmen“, sagte Abbas.
Dieser Satz bedeutet die Auflösung der 1994 infolge der Osloer Verträge eingerichteten Autonomiebehörde, als die Palästinenser die Selbstverwaltung aller Zivilbereiche, darunter des Gesundheits- und Erziehungswesens übernommen haben. Ab sofort soll wohl Israel wieder die Krankenhäuser und Schulen leiten und die Gehälter des Personals zahlen.
Weiter sagte Abbas: „Wir machen die amerikanische Regierung in vollem Umfang für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes verantwortlich und betrachten sie als primären Partner der israelischen Besatzungsregierung bei all ihren aggressiven und unfairen Entscheidungen und Maßnahmen gegen unser Volk.“
Mit den USA ließ Abbas schon im Dezember 2017 alle Kontakte abbrechen, als Washington die Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ankündigte. Das geschah erst im Mai 2018.
Noch liegt keine israelische Reaktion auf die Ankündigung von Abbas vor.
Sollte damit tatsächlich die Autonomiebehörde aufgelöst sein, würde es auch das Ende der Zweistaatenlösung bedeuten, denn dann gäbe es keinen palästinensischen Partner mehr, mit dem diese „Lösung“ des Konflikts verhandelt werden könnte.
Gegenüber der Zeitung Haaretz sagte ein Teilnehmer der Sitzung in Ramallah, dass Abbas „noch nicht alle Türen zugeschlagen“ habe.
So muss wohl abgewartet werden, ob es sich wieder nur um eine wiederholte Drohung handelt, oder ob die Ankündigungen diesmal ernst gemeint sind.
(C) Ulrich W. Sahm