In unserer politischen Reihe haben wir mit Ausgabe 1/2020 begonnen, die Positionen der im Nationalrat vertretenen Parteien zu Israel aufzuzeigen.
In der aktuellen Schalom haben wir das gekürzte Interview mit dem Abgeordneten zum Nationalrat, Dr. Helmut Brandstätter (NEOS), publiziert. Hier nun das ungekürzte Gespräch mit ihm.

Michael Laubsch: Herr Brandstätter, zunächst bedanke ich mich für Ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch. Bevor wir in die politische Diskussion eintreten: Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Israel?
Helmut Brandstätter: Ich war mehrere Male in Israel, beruflich und privat. Natürlich kann man als Österreicher nicht einfach nach Israel fahren, nur um Urlaub zu machen!
Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Reise erinnern, die ich zusammen mit einem guten Freund vor ca. 35 Jahren unternommen habe. Wenn wir auf den Straßen unterwegs waren und Deutsch gesprochen haben, wurde dies schon bemerkt und es gab einige nicht freundliche Blicke von israelischen Bürgerinnen und Bürgern.
Die Erfahrungen zurück nach Wien gebracht, habe ich dann viel zum Thema gelesen, mich auch mit Freunden ausgetauscht. Da ist besonders der Journalist Ari Rath zu erwähnen, nicht nur aufgrund seiner Kenntnis über Israel, sondern auch wegen seiner Wiener Herkunft, seiner Reisen und seiner Gesprächspartner wie Golda Meir. Zusammenfassend kann ich also sagen, dass besonders für meine Generation, wenn sie nach Israel fährt, die Vergangenheit der Eltern und Großeltern mitschwingt und ich habe mich auch sehr bemüht, dieses Vermächtnis an meine Kinder weiterzugeben. Interessanterweise hat mein Sohn mittlerweile zwei Jahre in Israel studiert. Ich versuche immer wieder durch meine Aufenthalte dort, die Geschichte weiterzudenken. Gerade bei diesem Thema gibt es nicht den Moment zu sagen: „Ich habe jetzt alles verstanden“, es gibt immer wieder Begegnungen und Eindrücke, die sehr emotional sind.
Ich bin auch persönlich sehr froh darüber, dass die Republik Österreich das Existenzrecht Israels als Staatsräson festgelegt hat, zwar später als beispielsweise Deutschland, aber nichts desto trotz war dies sehr ein sehr wichtiger Schritt!
ML: Antisemitismus in Österreich und Europa: Diese Gefahr wird immer größer. Wie sehen Sie diese Gefahr für unsere Gesellschaften?
HB: Hier möchte ich ein praktisches Beispiel anführen, dass ich in der Zeit der Flüchtlingskrise bei einer Veranstaltung hatte: Diese fand im Leopold-Figl-Haus statt und es war eine Diskussionsveranstaltung mit jungen Flüchtlingen. Wir standen zusammen und ich zeigte ein Foto von Figl mit dem Hinweis, dass auch er in einem KZ war, obwohl er kein Jude war. Da kam eine Betreuerin auf mich zu und meinte, dies müsse ich den jungen Menschen genauer erklären, die haben davon keine Ahnung. Ich versuchte dann in kurzen Worten zu erklären, was der Holocaust war. Diese Jugendlichen wussten wirklich nichts darüber. Und da kommen wir natürlich schnell zur Bildungsfrage. Gerade bei diesen Menschen, die zu uns kommen, müssen wir mit Bildung beginnen, weil sie in ihrer Heimat nie etwas zu dieser Auseinandersetzung gelernt haben außer der von oben aufgedrückten antizionistischen Staatsräson ihrer arabischen Heimatländer. Hier ist es also eigentlich für uns recht einfach, durch Bildungsangebote dieses Nichtwissen auszufüllen.
Wir müssen natürlich überall klar und deutlich machen, dass wir Antisemitismus nicht dulden und dass wir keine Scharia wollen. Auch wenn ich sehr klar und deutlich in der Flüchtlingsfrage bin, müssen Grundprinzipien für die Ankommenden klar abgesteckt sein: Wenn du hierher kommst, zählen unsere Werte, Rechte und Pflichten.
Hier, in unseren Gesellschaften, zählen die universellen Menschenrechte, und auch das müssen wir deutlich machen – nicht überheblich, aber klar und unmissverständlich -, da gibt es kein Nachgeben, das ist einzuhalten. Punkt!
Was den Antisemitismus von der linken Seite betrifft, Stichwort BDS. Hier müssen wir uns auch klar positionieren: Das Eintreten für das Existenzrecht Israels, eine Zweistaatenlösung als Lösungsansatz für den Nahostkonflikt. Einen Widerspruch hier gibt es nicht. Das Existenzrecht Israels darf nicht angezweifelt werden, gleichzeitig müssen die Palästinenser das Recht auf ihren Staat haben.
Ein anderes Problem, und hier komme ich auf die europäische Perspektive, sieht man am Beispiel Viktor Orban. Es darf nicht sein, dass man sich einerseits als Freund Benjamin Netanjahus aufspielt, dann aber, wenn es einem politisch passt, gegen George Soros hetzen, und zwar rhetorisch nicht nur gegen die Person, sondern klar mit antisemitischen Stereotypen. Und hier erwarte ich beispielsweise, dass auch Israel klare Worte gegen eine solche Propaganda findet. Auch von der ÖVP übrigens!
ML: Der Nationalrat hat sich ja beispielsweise einstimmig gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen. Nun gibt es eine neue Diskussion, gerade nach der Entscheidung der deutschen Bundesregierung, auch den politischen Arm der Hisbollah hier in Europa zu verbieten. Wie ist da die Position Ihrer Partei? Sie haben ja jüngst einen Antrag eingebracht im Parlament.
HB: Das ist richtig. Wir können natürlich nicht zu einem Verbot durch die Bundesregierung aufrufen, was wir jedoch können, ist die Überprüfung durch die staatlichen Behörden. Dieser Antrag wurde von der ÖVP abgelehnt, vielmehr haben sie einen eigenen eingebracht. Wir haben diesen dann auch letztendlich zugestimmt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Aktionen der Hisbollah hier in Österreich genauer zu untersuchen. In der Konsequenz haben wir es ja hier mit einem auch diplomatischen Grundkonflikt zu tun, denn die Hisbollah ist halt Teil der Regierung im Libanon. Wenn wir nun die Hisbollah hier verbieten würden, würde dies gleichzeitig bedeuten, die Regierung dort nicht mehr anzuerkennen. Gleichzeitig ist mir aber auch persönlich sehr wichtig ein Signal zu setzen, dass eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Staat Israel von der Landkarte zu tilgen, hier in Österreich nichts zu suchen hat. Mir ist natürlich auch wichtig, gerade auch in dieser Frage, dass wir endlich eine gemeinsame Sprache auf europäischer Ebene finden müssen. Wenn wir dies endlich erreichen und auch umsetzen, ist die Position Europas auch viel stärker.
ML: Weil Sie gerade Europa ansprechen: Muss sich Europa nicht viel stärker auch wirtschaftlich in der MENA-Region einbringen, mit einer europäischen Handelspolitik, die letztendlich auch der politischen, Sicherheits- und sozialen Dissonanzen entgegenwirken kann?

HB: Natürlich! Allein, wenn wir uns die Situation in Syrien anschauen: Wer muss die durch Krieg und Gewalt hervorgerufene Flüchtlingskrise bewältigen? Die Türkei, Europa. Nicht Russland, nicht die USA. Die Großmächte führen dort zwar Krieg, die Konsequenzen jedoch müssen besonders wir Europäer ausbaden. Was ich damit sagen will: Ich stimme völlig zu, dass wir unser europäisches Wirtschafts-Engagement weiter ausbauen. Gleichzeitig müssen wir aber auch militärisch ernst genommen werden.
ML: Kommen wir nun zu den aktuellen Friedensbemühungen der USA. Kann der Vorschlag von Trump wirklich Bewegung bringen, oder wird damit nicht der letzte Funke an Hoffnung für eine Befriedung im Keim erstickt, ich nenne hier nur Annexion von Gebieten im Westjordanland?
HB: Ich persönlich habe, nachdem ich in die Politik gegangen bin, mir selber folgende Prämissen aufgetragen: Zum einen, dass ich nie die Unwahrheit sagen werde und zweitens, immer dann auch deutlich zu machen, wenn ich mir bei gewissen Fragen nicht sicher bin bzw. Zweifel habe. Daher sage ich Ihnen auch, dass ich kein Professor für Fragen des Nahen Ostens bin, ich lese viel, beobachte und führe Gespräche mit ExpertInnen. Und gerade bei Trump habe ich mich immer gefragt, warum macht er das und warum macht er das jetzt? Ich würde mich bei seinem Friedensvorschlag so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass es ihm sicherlich nicht dabei um eine Befriedung geht. Das war nie seine Motivation. Es ist immer gefährlich Außenpolitik mit Innenpolitik zu verbinden. Natürlich weiß auch ich nicht, wie es geht.
Was heißt Zweistaaten-Lösung? Gerade hier sehe ich die Schwierigkeit. Natürlich gibt es die Befürchtung, dass Premier Netanjahu mit den Annexionsplänen das Völkerrecht bricht. Aber was kann man machen, was kann Europa tun, um diese verfahrene Situation zu verbessern? Will überhaupt der israelische Regierungschef eine EU als „Friedensapostel“?
Ich habe also mehr Frage- als Ausrufezeichen gerade bei dieser essentiellen Frage. Historisch, menschlich, sozial, religiös gibt es bei diesem Konflikt so viele Enden, bei einem ziehst du etwas und es fällt alles zusammen … Ohne die Beteiligung aller wird ein Friedensplan, egal von wem initiiert, eh nicht funktionieren.
Was ich schon glaube ist, dass die EU auch in dieser Frage gemeinsam stärker und präsenter auftreten sollte. Gleichzeitig sage ich natürlich klar und deutlich, dass ich mögliche Sanktionen gegen Israel durch die EU ablehne, daher stehe ich hier auf der Seite der Bundesregierung und Außenminister Schallenberg, umgekehrt bin ich natürlich auch nicht dafür, dass Minister Schallenberg zusammen mit Ungarn ein Statement abgibt ohne Hinzuziehung von Brüssel. Wir müssen da in Europa mit einer Stimme sprechen. Ich würde mir wünschen, dass es hier auch zu einer „Unionsräson“ kommt Für die gesamte EU muss das Existenzrecht Israels eine Selbstverständlichkeit sein. Nur so kann die EU als Player wahrgenommen werden und sich auch konstruktiv bei den Friedensbemühungen miteinbringen. Das betrifft die politische Seite, aber auch die wirtschaftliche und soziale. Die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit der Menschen in Gaza ist fürchterlich, in einem Gebiet, das theoretisch auch einen gewissen Wohlstand mit Hilfe von außen generieren könnte. Da können wir Europäer einiges an Hilfe anbieten und auch dabei deutlich machen, dass wir nicht mit Terrororganisationen kooperieren werden!
ML: Herr Brandstätter, vielen Dank für das Gespräch.