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Probleme um Prozessbeginn von Netanjahu

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 21. Mai 2020

Am Sonntag soll der Prozess gegen den amtierenden Premierminister Benjamin Netanjahu beginnen. Der Staatsanwalt Avichai Mandelblit hat die Anklageschrift mit drei Punkten schon im April beim Distriktgericht von Jerusalem eingereicht und veröffentlicht. Demnach steht Netanjahu im Verdacht, teure Geschenke von reichen Freunden angenommen zu haben, darunter Champagner und Zigarren. Ebenso soll er Geschäftsleuten zu Vorteilen verholfen haben, während sie ihm Gefälligkeiten versprachen, darunter eine positive Berichterstattung. Die Vorwürfe lauten in der Juristensprache „Korruption“, „Bestechung“ und „Vertrauensbruch im Amt“.

Obgleich Medien in Europa, darunter die ARD, den Premierminister schon als „Angeklagten“ bezeichnet haben, ist er bisher nur ein „Verdächtigter“. Denn erst wenn die Anklageschrift formell vom Gericht angenommen worden ist, ändert sich sein Status.

An diesem Sonntag soll nun der erste Schritt getan werden. Netanjahu wurde vom Gericht vorgeladen. In seiner Gegenwart soll die Anklageschrift verlesen werden. Nach Angaben von Richtern sei es üblich, dass der Verdächtigte gefragt wird, ob er die Anklageschrift verstanden und Fragen habe.

Nachdem das ganze Verfahren und die Ermittlungen seit Jahren begleitet sind von Polemik und Streitigkeiten, gibt es auch um diesen Prozessauftakt Streitigkeiten. Netanjahu hat angekündigt, dass er nicht anwesend sein wolle, um nicht auf der Anklagebank sitzend gefilmt zu werden. Das könnte seinem Ruf als Regierungschef schaden. Dem Antrag, ihn von der zwingenden Präsenz bei der Verlesung der Anklageschrift zu befreien, fügte er noch hinzu, dass dem Staat „unnötige Ausgaben“ entstünden. Denn er müsse von mindestens 5 Leibwächtern begleitet werden. Das zu organisieren wäre sehr aufwendig. Ebenso argumentierten Netanjahus Anwälte, dass es eng werden könnte im Gerichtssaal, wenn Netanjahu mitsamt seinen Sicherheitsleuten käme. Zeitweilig waren die Gerichte von Seiten der Gesundheitsbehörden ganz geschlossen worden, wegen der Notwendigkeit, Distanz zu halten und keine Menschansammlungen zuzulassen. Doch diese Vorschriften rund um das Corona-Virus sind inzwischen gelockert worden, sodass auch dem Prozessbeginn von Netanjahu keine gesundheitlichen Bedenken mehr im Wege stünden.

Die drei Richter beim Prozess gegen Netanjahu haben zwar grundsätzlich die Möglichkeit, einen Verdächtigen von Anwesenheit bei der Verlesung der Anklageschrift zu befreien. Doch die vorgetragenen Argumente scheinen die Richter nicht sonderlich überzeugt zu haben. Besonders das Argument der hohen Kosten für den Staat, wenn Netanjahu alle seine Bodyguards mitbringe, dürfte sie nicht überzeugt haben, nachdem Netanjahu gerade erst eine Mammutregierung mit über 34 Ministern vereidigen ließ, die dem Steuerzahler viele Milliarden kosten werde.

So hat Netanjahu schon vor Beginn seines Prozesses am Sonntag eine erste Niederlage einstecken müssen.

Es wird erwartet, dass das Gerichtsverfahren gegen den Ministerpräsidenten mehrere Jahre andauern werde. Bei der Urteilsverkündigung dürfte er deshalb nicht mehr unter parlamentarischer Immunität stehen.

In Israel sind schon viele Verfahren gegen sehr prominente Angeklagte geführt worden. Staatspräsident Mosche Katzav und Ehud Olmert, der Amtsvorgänger Netanjahus, haben neben Ministern und Abgeordneten sogar eine mehrjährige Gefängnisstrafe absitzen müssen.

 

(C) Ulrich W. Sahm

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