von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 30. März 2019
Zehntausende Palästinenser wollen heute mit einem „Eine-Million-Marsch“ dem ersten Jahrestag der Massenproteste am Grenzzaun zwischen dem Gazastreifen und Israel gedenken.
Die Palästinenser forderten ursprünglich ein Recht auf Rückkehr in Gebiete, aus denen 1948 ihre Vorfahren geflohen sind und die heute das Kernland des Staates Israel ausmachen. Im Laufe der Zeit wurden neue Anlässe für die vermeintlich „gewaltfreien“ Demonstrationen vorgeschoben. Dazu gehörten die Ankündigung von US Präsident Trump, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, die desolate humanitäre Lage im Gazastreifen, die von Ägypten und Israel verhängte Blockade und vieles mehr.
Die Demonstranten ließen brennende Reifen in Richtung Grenze rollen, stürmten den Sicherheitszaun und versuchten ihn niederzureißen, bewarfen israelische Patrouillen mit Steinen, Handgranaten und Sprengkörpern. Gleichzeitig wurden heliumgefüllte Luftballons oder Kondome mit Sprengbomben oder Brandsätzen mit dem Wind nach Israel geschickt. So verbrannten 3500 Hektar Wälder, Naturschutzgebiete und Felder, was allein einen Schaden von etwa 8,6 Millionen Euro verursachte. Während Tausende von der Hamas-Organisation mit Bussen zur Grenze gekarrte Zivilisten meist an Freitagen nach dem muslimischen Gebet in den Moscheen demonstrierten, wurden mehr als 1.200 Raketen auf Israel abgeschossen. Zuletzt wurde ein Wohnhaus in einem Dorf nördlich von Tel Aviv getroffen. Bei den Attacken kamen immer wieder auch Israelis zu Schaden.
Um Grenzüberschreitungen zu verhindern und die gefährlichen Demonstrationen in Schach zu halten, positionierten die Israelis Scharfschützen auf den Hügeln und in Stellungen vor der Grenze. 259 Palästinenser wurden erschossen und Tausende erlitten teilweise schwere Verletzungen. Wegen des zusammenbrechenden Gesundheitswesens im Gazastreifen konnten die nur schwer oder gar nicht behandelt werden.
Eine relativ neue Masche der Hamas sind „nächtliche Störkommandos“. Da wird auf grenznahe israelische Ortschaften geschossen, was wiederum die Luftalarm-Sirenen auslöst. Mit lauten Explosionen werden die Israelis immer wieder geweckt. Das Ziel ist, der israelischen Bevölkerung schlaflose Nächte zu bereiten, was besonders für die Kinder schwer zu ertragen ist.
Eine Überprüfung der Namen der getöteten Palästinenser und ein Abgleich mit den Heldenseiten der Hamas, auf denen im Internet die „Märtyrer“ geehrt werden, ergab, dass 90% der getöteten Palästinenser keine „Zivilisten“ waren, sondern Aktivisten oder Kämpfer der radikalen Organisationen wie Hamas oder islamischer Dschihad. Auch vermeintlich erschossene Kinder im Alter von 14 Jahren stellten sich als kräftige bärtige Männer heraus.
Vor den erwarteten Demonstrationen an diesem Samstag, dem angekündigten „Marsch der Millionen“, hat Israel drei Divisionen im Grenzgebiet zusammengezogen, Reservisten rekrutiert und über die Soldaten in der Region ein Ausgehverbot verhängt. Hunderte Panzer stehen bereit.
Nach Raketenbeschuss kommt es regelmäßig zu Luftangriffen auf Hamas-Stellungen im Gazastreifen. In der Nacht zum Samstag traf eine Panzergranate ein Munitionslager der Hamas im Norden des Gazastreifens. Die Explosionen waren so heftig, dass man sie in Aschdod, Sderot und Netivot hören konnte.
Zwischen den Parteien bemühen sich die Ägypter und die UN um eine Vermittlung. Erneut hat die Hamas eine Einigung über eine Waffenruhe verkündet, während gleichzeitig die Palästinenser aufgerufen wurden, möglichst zahlreich zur Grenze zu den Demonstrationen zu strömen. Angeblich hat sich Israel bereiterklärt, die Fischereizone vor Gaza wieder auf 12 Meilen zu erweitern, die Blockade zu lockern und den Export von Waren aus Gaza nach Israel zu ermöglichen.
Gleichzeitig drohen beide Seiten mit „noch mehr Gewalt“.
An diesem Samstag sollen die Großdemonstrationen gegen 13:00 Uhr Ortszeit (in etwa einer Stunde) beginnen, wobei der israelische Militärsprecher die Palästinenser davor gewarnt hat, sich minestens 300 Meter vom Grenzzaun entfernt zu halten „wenn ihnen ihr Leben etwas wert ist“.
(C) Ulrich W. Sahm